Licht und Wohlbefinden
Licht und Wohlbefinden
2014
… Lux. So ähnlich titulierte die Journalistin Stefanie Maeck ihren Artikel in Spiegel Online vom März 2013. Eigentlich zur Unzeit ist der Artikel erschienen, denn März ist die Saison für Artikel über schlimme Wirkungen der Sonne, Hautkrebs u.ä. Die werden nämlich durch die Industrie der Sonnenmilch gesponsert. Licht gegen Winterdepression hat in November Saison wie die Feiertage, an denen die Tanzveranstaltungen früher immer abgesagt wurden. Die große Frage, der die Journalistin nachging, lautete: „… gibt es auch künstliches Licht, das uns glücklich und gesund macht?“
Offensichtlich ja. Aber der Artikel beginnt mit einer ketzerischen Bemerkung: „Experten empfehlen morgens möglichst viel helles Licht, einen Spaziergang als Wachmacher oder auf dem Weg zur Arbeit.“ Spaziergang auf dem Weg zur Arbeit? Das ist wirklich etwas, was keiner braucht! Ich meine, keiner, der mit Licht Geschäfte machen will. Ansonsten kann ich die Empfehlung nur empfehlen. Ich kenne die Sache nämlich aus früher Erfahrung aus meiner Schulzeit. Eine Gruppe Schüler meiner Schule musste zunächst einen morgendlichen Spaziergang zum Dampfer machen, dann dort eine Weile auf die Fähre warten. Danach fuhr man etwa 40 Minuten bei Wind und Wetter, um noch einmal 15 Minuten zu Fuss in die Schule zu hetzen. Ach, wie haben wir unsere Mitschüler beneidet, die nur die 15 Minuten von zu Hause in die Schule brauchten. Später habe ich begriffen, dass deren Tag in einem vollen Bus begann, der sie kurz vor´m Schuleingang ausspuckte. Sie sahen manchmal tatsächlich wie ausgespuckt aus. Wir hingegen waren voll Licht und Luft, als wir durch das Schultor spazierten.
Da man die Vorteile der Torturen, die wir erlitten haben, erst viel später erkennt, verbringen wir den Anfang des Tages in Hetze, nicht selten im Stau - Hetze und Stillstand! Und dann brauchen wir die Produkte der Lichtstimmungsmacher. So z.B.: „Die ...-Forscher entwickeln derzeit einen Prototypen, bei dem sich die Lichtfarbe sogar der Stimmung anpasst. Die Idee dahinter: Ein vollbepackter Outlook-Terminkalender könnte ein Indiz für viel Stress und Aufregung sein. Entsprechend könne man ein beruhigendes Licht am Bürohimmel anbieten, erklärt .... Ist der Mitarbeiter müde, könnte das eine Gesichtserkennungssoftware registrieren - zur Aufmunterung würde blaues Licht verabreicht. Auch rosa Licht könnte helfen: Untersuchungen mit besonders aggressiven Häftlingen ergaben, dass diese in einer rosa Zelle "friedlich wie Lämmchen" wurden.“
Man sollte den Artikel schnellstmöglich ins Amerikanische übersetzen. Dann kann man in Guantanamo waterboarding durch lightboarding ersetzen. Grimmige Taliban mit Licht in sanfte Lämmer verwandeln? Ganz neu ist die Sache indes nicht. Ich hatte die Idee bei einem Vortrag vor drei Jahren hübsch illustriert angeboten. Allerdings handelte es sich damals um Satire. Lichtforscher kennen offenbar keine Pietätsfristen, denn zwischen Satire - z.B. Meldung über Bananenzucht in Norwegen in Extra 3 - und der Beschließung von EU-Subventionen für Bananenzüchter in Irland müssen mindestens 5 Jahre vergehen.
Auch ohne ethische Bedenken berichtet Frau Maeck über die nicht totzuschlagende Studie aus Hamburg Eppendorf mit Grundschülern, die man mit Licht konditioniert haben will, damit sie Pisa-gerecht werden: „Wurden Farbtemperatur und Lichtintensität optimal auf Situationen und Anforderungen im Klassenraum eingestellt, verbesserten sich die Leistungen der Schüler. Unter sehr hellen, bläulichem Licht waren die Schüler schneller beim Lesen und machten weniger Fehler. Durch Beigabe von gelbem Licht konnten sie sich schneller beruhigen. Per Knopfdruck konnte die Lehrerin das passende Ambiente für die Schüler wählen: "Aktivieren", Beruhigen" oder "konzentriertes Arbeiten". Bald hatten die Schüler sogar Lieblingslichtstimmungen.“
Der Artikel schließt mit einer Bemerkung, die jedem Lichttechniker das Herz höher schlagen lässt: „Licht könnte ein Glücks-Medikament der Zukunft sein.“ Könnte? Ist doch schon längst bei denen, die mit LED handeln. Dummerweise werden die, die das Geschäft heute betreiben, vermutlich morgen zu den Opfern der Revolution zählen. Denn LED braucht zu ihrer Durchsetzung die Künste der Elektroniker eher als die der Lichttechniker. Am Ende könnten die letzteren in die Röhre gucken. (Hier darf ich ausnahmsweise von Röhre statt Lampe sprechen, ohne gleich exkommuniziert zu werden.)
(Die Sache mit den Kindern wurde in diesem Blog mehrfach behandelt. Z.B. hier und hier und hier und hier. Zu der Erleuchtung durch den künstlichen Himmel findet sich hier eine Satire und dort die Sachinformation. Den Kakao, durch den man alles ziehen kann, kauft man am besten hier. Wer den Link zu dem Film erfahren möchte, in dem ein Forscher einem Millionenpublikum erklärt, wie man Kinder mit Licht manipuliert, muss mich anschreiben, da der Film nicht öffentlich verfügbar ist. Der Clip ist garantiert nicht manipuliert. Ob er Sachinformation wiedergibt oder eher den realen Irrsinn XXL, muss man selber entscheiden. Ob man nur den Schreiber von solchen Artikeln oder den Chefredakteur gleich mit unter Lichteinfluss setzen soll, muss wohl der Richter entscheiden. Ganz so straffrei dürften die Verfasser solcher Artikel nicht ausgehen, bei aller Liebe zur Pressefreiheit.)
Glück für 10.000
19.04.14
Die erste Pflicht im Leben ist, so künstlich wie möglich zu sein.
Oscar Wilde
Die zweite Pflicht hat bisher noch niemand entdeckt.
Auch O. Wilde