Licht und Überfluss
Licht und Überfluss
2013
In einem verwunschenen Labor sitzt ein freundlicher Chemiker und forscht vor sich hin: Wann denkt ein Stoff von sich, denkt er, dass er zum Leuchten auserkoren ist? Irgendwann ruft er Heureka („ich hab's“ auf Griechisch, εὕρηκα, ausgesprochen [hɛːǔ̯rɛːka]). Nicht der Stoff, der Chemiker. Der Stoff würde zwar ab und an mal gerne leuchten, aber nicht immer. Das soll der Chemiker ändern. Nun gesellt sich ein Physiker dazu. Er weiß, wie man den Stoff elektrisieren kann, damit er dauernd leuchtet. Und zwar immer dann, wann der Benutzer will. Irgendwann mal rufen beide Heureka. Das ist auch Griechisch. (In Wirklichkeit ist diese Geschichte etwas langwieriger, weil die beiden eine ganze Giftküche elektrisieren müssen, bis etwas ordentlich leuchtet. Wenn man alles erzählen würde, käme es manchem Spanisch vor.)
Wenn auch noch ein Dritter sich hinzugesellt, ein Lampenentwickler, und mit den beiden zusammen hɛːǔ̯rɛːka ruft, ist es so weit. Aus dem Stoff ist ein Lampenprototyp geworden.
Wenn in den oberen Etagen der Firma O. bzw. P. viele Leute auch Heureka rufen, wird aus dem Lampenprototypen eine Lampe.
Die meisten Lampen denken aber nicht daran, so zu leuchten, wie man bzw. frau will. Sie streuen ihr Licht womöglich in alle Himmelsrichtungen und müssen daher lernen, nur noch dahin zu leuchten, wo sie rechnerisch den größten Effekt hervorrufen. In der Lichttechnik nennt sich das Arbeitsebene. Nicht dass alle Leute in dieser - horizontalen - Ebene arbeiten würden - das tun nur Angehörige bestimmter Berufe, über die man ungern redet, öffentlich jedenfalls - nein, weil sich die Ebene am besten rechnet. Damit unser Stoff, der nunmehr eine Lampe geworden ist, pflichtgemäß leuchtet, bekommt er eine Verkleidung. Nennt sich Leuchte. Nicht weil man alle Ideengeber für eine solche hält, sondern weil die Lampe nur in ihr leuchten darf. Sonst ist sie, die Lampe, womöglich grell.
Das darf sie aber nicht sein! Damit unsere Lampe nicht die ganze Arbeitswelt mit ihrer ungebremsten Lust am Leuchten belästigt, muss sie, die gemeine Lust der Lampe an der Gemeinheit, gebremst werden. Das nennt sich Blendungsbegrenzung. In der vornehmen Welt der Lichttechnik gibt es das Wort grell nämlich nicht, obwohl mittlerweile die Autos einen bereits tagsüber am Verstand des Chemikers bzw. des Physikers zweifeln lassen. LED nennt sich ihr neuestes Spielzeug, das noch ungebremst leuchten darf. Am schlimmsten vorne an den teuersten Autos.
Da die Blendungsbegrenzung nicht jede Dumpfbacke in seiner Arbeitsstube selbst vornehmen darf, hat man eine Reihe fein ziselierter Kurven ausgedacht, die den Namen des Erfinders aus dem Labor der Firma P. tragen. Diese erzählen dem Entwickler, wie er das Blech der Leuchte biegen muss, damit keiner behauptet, das Licht der Lampe käme grell daher. Fertig ist die Leuchte. Jetzt darf sie über den Köpfen der arbeitenden Bevölkerung an die Decke.
Leider nicht ganz. Denn in anderen Ländern sitzen andere Lichttechniker, die anders denken als der Erfinder der Kurven aus der Firma P. Sagen wir mal, sie sind in der Firma G.E. tätig. Die benutzen eine Formel, die den Leuchten den Giftzahn ziehen soll. Da Leuchten später ohne Rücksicht auf Landesgrenzen leuchten sollen, muss eine neue Formel her. Dummerweise fällt die etwas kompliziert aus, sodass es Probleme mit dem, sagen wir höflich, begrenzten Auffassungsvermögen der Praktiker gibt. Ergo packt man die Kurven der Firma P. in einen großen Topf, gibt die Formel von dem Autor aus der Firma G.E. dazu, und schüttelt so lange, bis eine feine Tabelle heraus kommt. Die nennt sich UGR = Unified Glare Rating. Der Leuchte ordnet man nun eine Zahl zu. Sagen wir 19. Die erscheint in der entsprechenden Beleuchtungsnorm, und dort heißt es, wenn eine Leuchte einen UGR-Wert unter 19 hat, darf sie in einem deutschen Büro leuchten. Zwar sind dann höchstens die Hälfte der so Erleuchteten zufrieden. Das macht aber nix. Sie sollen froh sein, dass sie der zufriedenen Hälfte gehören. (Wer Freund von weniger lustig, dafür mit vollem Ernst vorgetragenen Fakten ist, kann hier fündig werden. Der Autor hat mir persönlich geraten, mich nicht mit Blendung zu befassen, weil ich entweder in die Irre geführt werde, oder irre.)
Fertig? Leider immer noch nein! Es gibt nämlich Leute, die darüber befinden, wie viel Licht unsere Leuchte auf die Arbeitsebene werfen muss. Und die kennen unseren Chemiker nicht. Den Physiker übrigens auch nicht. Und der Leuchtenbieger kennt die hier gemeinten Herrschaften nicht. Babel lässt grüssen. Weil der Physiker nicht weiß, was der Leuchtenbieger braucht, und dieser noch weniger weiß, was die Praktiker brauchen, und die Herren über die Menge des Lichts nicht vollends über die Technik aufgeklärt sind, kommt am Ende aus der Leuchte nicht genug Licht raus. So jedenfalls nach der Meinung der Leute, die die Menge des Lichts in deutschen Arbeitsstätten bestimmen.
Und? Man kann ja deren mehr an die Decke hängen. Dem stehen aber die Gepflogenheiten deutscher Unternehmen entgegen, den Büroraum für Menschen zu rationieren. Ziemlich dumm, aber leider nicht anders machbar! Soll man etwa mehr Raum bieten, damit dessen Himmel mehr von den Leuchten aufnehmen kann? (Wer es nicht glaubt, dass die Sache wirklich so läuft, soll sich mal die Beleuchtungsnormen angucken. Bei einer Norm hat der Modellraum für eine Person hochgerechnet 45 m2 bis 80 m2, im realen Büro von 4 m2 bis maximal 45 m2. Da muss man aber schon Staatssekretär sein.) Der „normale“ Mensch im Büro, so z.B. ein Beamter, beansprucht eine Bürofläche mit einer Achsbreite, nennt sich Beamtenachse, mal Tiefe des Raums, so etwa 12 m2. In diese Achsbreite passt meistens nur eine Leuchte hinein. Wie soll man da 20% mehr Leuchte installieren, wenn die Beleuchtungsstärke um 20% erhöht wird? (Große Konzerne beschäftigen kluge Berater, die die Beamtenachse so verbiegen, bis nur noch 7 m2 übrig bleiben sollen. Dokument war im Internet erhältlich und hieß „Auf dem Weg zum Büro mit Zukunft“. Wo man dann die Leuchte hinhängt? Die Berater kennen weder Lichttechnik, noch Beamte. Sind halt Berater, die vom Beraten leben. Später beraten sie den Kunden über psychische Belastungen. Sie wissen ja, wo die herkommen.)
Geht also nicht! Geht nicht, gibt´s nicht - in der Technik. Es gibt nämlich Physiker, die aus der gleichen Länge Lampe viel mehr Licht herausholen. Fehlt nur noch der Elektroniker, der die Vorschaltgeräte so macht, dass sie mehreren Lampen in der gleichen Länge dienen können. Ihr Name: Multiwatt. Die Lampen mit der bombigen Leistung heißen dann high output oder ähnlich, alles zusammen wird als „effiziente“ Lichttechnik verkauft.
Damit kann man über einem Mitarbeiter mit rationierter Fläche zwar nicht mehr Leuchte aufhängen, auch nicht mehr Lampe, aber mehr Licht aus denen herauskitzeln. Soweit, so gut.
Leider hat die Sache einen Denkfehler: Der vermaledeite UGR-Wert stimmt nicht. Die Leuchte blendet mehr als sie darf. Da der UGR-Wert aber den meisten Bauherren schnuppe ist, weil er ihnen nichts sagt, erzählt der letzte im Glied, der Elektroplaner, ihm überhaupt nichts von der Story. Er installiert, was das Zeug hält. Es ist nämlich so, dass der Planer auf eigene Kosten nachrüsten müsste, wenn man ihm nachweist, dass er zu wenig installiert hätte. Wenn er zu viel installiert …? Kann er nicht! In der Norm steht, dass alle angegebenen Werte Mindestwerte sind.
Wenn ein normaler Mensch wissen will, wieso denn solche Vorgaben gemacht werden, erzählt ihm Dr. O. aus der Firma P., oder Dr. P. aus der Firma O., dass draußen mittags 100.000 lx herrschen tun, während die mickrigen 500 lx im Büro …, na ja, wirklich mickrig sind. In diesem Metier misst man sein Produkt nämlich am Zentralgestirn unserer Galaxie und nicht an kleinkrämerischen Zahlen. (Leute, die ähnlich dachten, gingen in der griechischen Tragödie in der Antike tragisch unter, im Mittelalter wurden sie auf den Scheiterhaufen gestellt. Und heute?)
Wenn die Leute weder Dr. O. noch Dr. P. glauben wollen, weil ihre Brötchengeber ein Eigeninteresse an mehr Lux im Büro haben, findet sich bestimmt ein Prof. F. aus Uni G., der die gleiche Geschichte erzählt. Der hat bestimmt kein Eigeninteresse an … Eigentlich braucht man weder Doktoren noch Professoren, die die Story erzählen. Ein kleiner stud.-ing. reicht dicke. Der nimmt nämlich die ewig erzählte Geschichte sozusagen mit der Muttermilch auf. So etwa im dritten Semester. Sie ist ja älter als die Väter der heute lebenden Professoren und Doktoren.
Am Ende sitzen die Mitarbeiter in Büros, deren Beleuchtung zwei bis vier mal überdimensioniert ist, und…? Schalten die Lampen ab, so lange sie noch etwas sehen können. Der Fachmann würde sagen, dies stimme nicht, die Leute würden die Leuchten abschalten. Na, schön. Wenn sich die Leuchten nicht abschalten lassen, dreht man die Lampe aus der Fassung. Abschalten, damit man Ruhe hat.
Wer mag denn so komisch denken und handeln? Anscheinend nicht wenige. So besagt eine Studie des Onlinedienstes Linkedin aus dem Jahre 2012, in dem weltweit Führungskräfte vernetzt sind, dass der mit Abstand sehnlichste Wunsch ist, in einer Umgebung ohne künstliche Lichtquellen zu werkeln und zu arbeiten. Für 37% der deutschen Führungskräfte hat ihr Traumarbeitsplatz nur Tageslicht.
EPILOG: Wer diese Erzählung für eine erfundene Story hält, muss nicht sehr lange suchen, bis er die Bestätigung findet. Vielleicht gar nicht suchen, sondern nur nach oben gucken. Von mir kann er Einsicht in Messprotokolle in reichlicher Zahl bekommen, die ihm auf die Sprünge helfen. Der freundliche Herr aus der Firma P. ist mittlerweile gestorben und kann deswegen nicht reagieren. Den Forscher der Firma G.E. gibt es leider auch nicht mehr. Die anderen aber sind alle noch da und werkeln, bis ihnen die Klimakatastrophe das Handwerk legt. Vielleicht nicht als biologische Person, weil deren Laufzeit begrenzt ist. Aber als Ideenträger bestimmt. Am Ende wird allen ein Lichtlein aufgehen. Die Studie von LinkedIn findet sich hier. (Anm.: Für die „Stummtaste“, die das Geschwätz der Leute in der Umgebung abstellen kann, interessierten sich nur 21%.)
Für alle, die trotz Allem künstliches Licht brauchen oder wollen: Aus der Küche des Chemikers, des Physikers und des Leuchtenbiegers gibt es Produkte, die Indirektleuchte heißen. Die stehen nicht in der UGR-Tabelle, weil ihr UGR-Wert 0 (= blendet überhaupt niemanden) beträgt bzw. bedeutet. Man hätte sie in die Tabelle aufnehmen können, hat aber nicht. Honi soit qui mal y pense [ɔni swa ki mal i pɑ̃s]
Story einer Beleuchtung, die niemand mag
18.05.13
Alles nur mit dem Verstand zu erfassen wollen, wird Weisheit vertreiben …
Laotse