Licht und Human Factors
Licht und Human Factors
2014
Unter Human Factors versteht man so etwas wie Ergonomie, unter dieser so etwas wie Arbeitswissenschaft. Dass sich die Begriffe so beißen, ist der historischen Entwicklung geschuldet. So hat die hiesige diesbezügliche Wissenschaft ein Philosoph gegründet, der wundersamer Weise auf dem Gebiet des Maschinenbaus tätig war. Sie wurde zunächst „Psychotechnik“ genannt und später endgültig Arbeitswissenschaft. Am anderen Ende des großen Teichs haben Menschen wie Ford und F.W. Taylor die hehre Wissenschaft der menschlichen Erwerbsarbeit mehr oder weniger wissenschaftlich entwickelt, und fühlten sich gezwungen, neben anderen Faktoren auch menschliche Bedürfnisse zu berücksichtigen. Zur Erinnerung: Ford war der Erfinder des Fließbandes und die Art und Weise, wie Taylor vorgegangen war, war in den 1930er Jahren verboten worden, weil zu unmenschlich. Die US-Amerikaner reden gerne von Human Factors, während die Deutschen zuweilen darüber die Nase rümpfen. Die dritten im Bunde, die Briten, haben den Begriff Ergonomie, den ein Pole 1857 (Jastrzębowski) geprägt hatte, aus der Versenkung geholt, und zu einer Wissenschaft eigener Prägung entwickelt. Deren diesbezügliche Gesellschaft hieß früher Ergonomics Society. Sie heißt jetzt „The Institute of Ergonomics and Human Factors“ damit man sie nicht mit der US-Version „Human Factors and Ergonomics Society“ durcheinander bringt.
Da Beleuchtung auch etwas mit den Menschen zu tun haben scheint, haben die „Urväter“ Hopkinson und Collins bereits 1970 ein Buch mit dem Titel „The Ergonomics of Lighting“ veröffentlicht. Leider wurde das Buch kein großer Erfolg, insbesondere in der Ergonomie, weil die Ergonomen etwas Besseres zu tun haben, als sich mit Beleuchtung zu beschäftigen. Sinngemäß dasselbe haben übrigens auch die Professoren eines Fachgebiets in Deutschland der lichttechnischen Industrie geschrieben. Das war etwa 1990 - und das Fachgebiet heißt Lichttechnik. Die Leute von der Industrie waren richtig entsetzt. Wie entsetzt wären sie erst, wenn ich ihnen erzählt hätte, dass Beleuchtung den Ergonomen so schnuppe ist, dass auf ihren Kongressen mal ein Vortrag unter vielen hundert davon handelt.
Da die Sache mit der Ergonomie nicht lief, hat ein anderer Großer der Lichttechnik ebenfalls ein Buch geschrieben. Das war 1981, und das Buch hieß „Human Factors in Lighting“. Damit lief es wohl so gut, dass er 2014 die dritte Auflage, mit vielen Erweiterungen veröffentlicht hat. Heute wollte ich mir ein Bild davon machen, wie erfolgreich das Buch in den Kreisen von Ergonomen, Pardon, der Human Factors People sein könnte.
Ich denke, jeder kann sich ein Bild davon machen, wenn ich das Vorkommen von Begriffen aus der Ergonomie, Pardon, Human Factors einfach tabellarisch anführe. Das Buch hat insgesamt 666 Seiten, davon 610 Inhalt, der Rest Literaturverzeichnis. Das Wort Ergonomie kommt darin 1 Mal vor, Human Factors immerhin 3x! Die Nützlichkeit der Beleuchtung war wohl nicht der Rede wert, „usefulness“ wird nicht diskutiert. Die „Wissenschaft“ vom Bauen, die Architektur, findet sich immerhin 6 x im Text, während das, was der Lichttechniker in die Gebäude hinein und drum herum baut, die Beleuchtung, wird 4,2815 Mal erwähnt wird - im Schnitt auf jeder Seite.
Der Mensch als Nutznießer der Beleuchtung, alias der „User“, kommt etwas häufiger vor als Architektur, aber sein Erleben der Umwelt, die angeblich nur durch Licht möglich ist, seit Vitruv (Marcus Vitruvius Pollio, Zeitgenosse von Julius Cäsar und sein Architekt) als Gestaltungsziel bekannt, neumodisch „user experience“ genannt, ist irgendwie in Vergessenheit geraten. (Vitruv nannte user experience einst Firmitas (Festigkeit), Utilitas (Nützlichkeit, Usability) und Venustas (Schönheit).
Da Schönheit Geschmacksache ist, habe ich mich nach utilitas umgeschaut, also Nützlichkeit. Zwar kommt das Wort, wie bereits angegeben, in dem Buch nicht vor, aber z.B. etwas, was man mit Beleuchtung erreichen will, Lesen. Man muss da lange suchen, bis man auf „legibility“ stößt. Das ist das Wort, das man in Experimenten benutzt, bei denen man feststellen will, wie gut Schrift wahrnehmbar ist: 3x ist doch ein Wort! Dabei hatten sich Typographen und Lichttechniker einst wahre Schlachten darüber geliefert, wessen Kunst denn das Lesen besser unterstützt.
Für mich, und nicht nur für mich, sondern für die meisten Ergonomen, spielt die Akzeptanz einer Technik eine große Rolle, wenn nicht die Hauptrolle. Etwa 10 % der Literatur über Computeranwendungen dreht sich um Technologieakzeptanz, wofür man ein besonderes Modell entwickelt hat (Technology Acceptance Model). Man streitet sich heftigst darüber, ob die Akzeptanz eher durch „utilitas“, also Nützlichkeit, oder eher durch venustas, also Schönheit oder Ästhetik kommt. Egal - in dem besagten Buch spielt die Akzeptanz keine Rolle. Was kann Ästhetik für eine Rolle spielen gegenüber der Leuchtdichte, die 2372 x vorkommt?
Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass das Buch wenig mit seinem Titel gemein hat. Und auch wenig mit der Dienstleistung, die die Lichttechnik für die Architektur zu erbringen hat. Ich nehme die Vorwürfe gegen meine Ergonomenkollegen zurück, die sich wenig mit der Beleuchtung beschäftigen. Oder soll man die Kritik auf beide Seiten gleich verteilen?
Human Factors??
05.08.14
Wer sein Ziel verfehlt, hat wenigstens noch ein Ziel.
Andreas marti
war kein Lichttechniker
Meint er Columbus?
d. Blogg