Licht und Laternen
Licht und Laternen
2014
Es ist erreicht! (Bitte nicht an den Bart von Kaiser Wilhelm denken*). Der Laternarius ist wieder da, allerdings erst einmal in der deutschen Provinz, in Tuningen, Schwarzwald. Der Tagesspiegel von heute meldet die Abschaltung der Straßenlaternen der Gemeinde. So etwa 400 Stück …
Bekanntlich stehen an jeder deutschen Straße - nicht die bekannten Damen, die stehen nur an manchen - Laternen, die den Bürgern einen sicheren Weg nach Hause sichern. Dass manche Bürger nicht gesehen werden wollen, weil die Tür, aus der sie kommen, nicht ihrem Zuhause gehört, ist nur eine der Störwirkungen. Eine andere ist die mittlerweile anerkannte Lichtverschmutzung. Die stinkt zwar nicht zum Himmel, aber lässt sich gut vom Himmel aus erkennen.
Was die so ausmacht, konnte ich als Kleinkind jeden Abend beobachten. Wenn die Sonne schlafen ging, flatterten die Nachfahren Draculas um das Licht der Laternen herum. Und befreiten uns von den Plagegeistern. Aber nicht nur die Fledermäuse ändern durch das unnatürliche Licht ihr Verhalten. Fische, Bäume, Uhus u.v.a.m.
Was machen da die paar Straßenlaternen aus? Es sind 9.000.000 in Deutschland. Das macht so viel aus, dass man heute quer durch Deutschland fahren kann, ohne dass die Windschutzscheibe durch tote Insekten verunstaltet wird. Früher sah die nach so einer Fahrt aus wie nach einem formidablen Massaker. Heute bleibt die Scheibe clean. Liegt bestimmt nicht nur an der Straßenbeleuchtung, aber auch daran.
Die alten Römer hatten eine bessere Idee, als sich 9.000.000 Laternen in die Landschaft zu pflanzen und geduldig auf die Passanten warten zu lassen. Sie hatten den Laternarius. Das war ein Mensch, der einem Bürger mit einer Laterne vorausging, wenn dieser nachts woanders hingehen wollte. Ich schätze mal, dass nicht alle Römer einen Laternarius bestellt haben, weil man nicht wissen sollte, wo sie hingehen. Sei´s drum. Das System funktionierte leider auf Sklavenbasis und ging mit der Sklaverei zusammen zugrunde. Nicht ganz, denn Hochzivilisationen haben das Sklaventum noch lange aufrecht erhalten, nachdem die Beleuchtung der Straßen erfunden wurde (1667 in Paris). Bekanntlich wurde die Sklaverei in den USA offiziell 1865 abgeschafft. Real kommt noch! Vielleicht …
Jetzt gibt es, zumindest in Tuningen, den modernen Sklaven. Die Laternen warten zwar immer noch am Straßenrand, aber nicht in voller Pracht. Ein Bewegungsmelder sorgt dafür, dass Licht wird, wenn einer kommt. Fiat lux. Bekanntlich reagieren diese Dinger auf Körperwärme, sodass Dracula immer noch seine Nacht genießen kann. Wer reglos herumsteht, wie ein Ofen, wird nicht registriert, z.B. Clochards, die auf einer Parkbank schlafen. Liebespärchen auch nicht, sofern sie sich nicht regen. Ob der moderne Laternarius das Licht proportional zur Regung steuert, steht nicht in der Meldung. Finstere Gestalten, die auf nächtliche Jagd gehen, müssen sich cool anziehen, wollen sie nicht entdeckt und angeleuchtet werden. Polaranoraks würden z.B. helfen.
Nun vermutet der Autor Böses: „Deshalb ist die künftige Konfliktlinie auch klar. Es geht gegen die Freunde des getönten Gaslichts, die ihre Städte gern nostalgisch mögen und nicht von zackig herumblinkenden Scheinwerfern ausgeleuchtet. Der nächtliche Flaneur will in seinem Wehen und Wandern nicht verfolgt werden, man kann das verstehen.“ An seinen Ausführungen kann man ablesen, wie gründlich man den Ruf einer neuen Technologie ruiniert hat, bevor sie überhaupt entstanden ist: „Tuningen spart 82 Prozent der Stromkosten, und seine Bewohner gewinnen an Helligkeit und Sicherheit. Allerdings, das ist klar, geht das nur mit Hilfe des scheußlich kaltkranken LED-Lichts, das seine Umgebung immer so angenehm wirken lässt wie einen Operationssaal, und das ohne Narkose.“
Das kommt davon, wenn der große Kongress der Lichttechnik (100 Jahrfeier, 2012) 1385 Mal LED rezitiert, aber Behaglichkeit 0 Mal erwähnt (siehe hier).
* „Es ist erreicht“ ist die zackige Bartfrisur des Kaisers Wilhelm Zwo, so genannt von François Haby, der sein Leben lang Hoffriseur werden wollte. Als der Kaiser endlich seinen Schnurrbart von ihm machen ließ, nannte er die akzeptierte Frisur eben so. Haby kreierte u.a. „Donnerwetter - tadellos! (Bartpomade), „Wach auf“ (Rasierseife“) und „Ich kann so nett sein“ (Damenshampoo). Wer sich eher für Bärte interessiert, wird hier mehr als fündig.
Laternarius wieder da - elektronisch
23.08.14
Wir brauchen keinen dritten Weltkrieg.
Wir haben Kapitalismus, Kommunismus und Tourismus.
Oliver Hassencamp
und eine Laterne für jeden neunten von uns …
d. Blogg