Licht und Stuhl
Licht und Stuhl
2014
Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Konzept aus der Lichttechnik in anderen Bereichen Akzeptanz findet. Der letzte Fall, der mir bekannt ist, war die Übernahme des Begriffs Raumwinkel in die Theoretische Elektrotechnik. Der Professor, der ihn übernahm, fand ihn genial. Dieser selbst war nicht minder genial. Trotzdem war weder ihm noch jemandem anders das Konzept eingefallen. Er hat es zufällig von unserem Lichttechnik Professor erfahren. Man darf sich nicht wundern, wenn ein Wissenschaftler aus einem anderen Fachbereich in 100 Jahren Heureka schreit, weil er die Normierung der Außenwelt auf eine Kugel um den Punkt des Interesses herum erfunden haben will. Der wird kurz danach die alten Vorlesungsskripte vom 20. Jahrhundert hassen lernen, die ihm das Patent vermiesen werden.
Ein weiteres Konzept harrte seit den 1930er Jahren seiner Entdeckung. Leider fand sich bis gestern keiner dazu bereit. Die Rede ist von der Allgemeinbeleuchtung. Irgend ein Forscher soll vor etwa 80 Jahren herausgefunden haben, dass Menschen mehr Leistung abgeben, wenn die Beleuchtung um sie herum gleichmäßig ist. Hurra - nicht Heureka -rief das Amt für Schönheit der Arbeit (Deutsche Arbeitsfront) und verkündete einen Slogan - damals noch Losung genannt - nach Art des Hauses: Gleiches Licht für alle Volksgenossen. Eigentlich nicht falsch, denn „Gleiches Licht für alle Volksgenossen“ sollte bedeuten, dass an jedem Arbeitsplatz die gleichen visuellen Bedingungen herrschen sollten, sofern die Arbeitsaufgaben und damit auch die Sehaufgaben gleich waren. Falsch wurde die Sache dadurch, dass man sagte, überall müsse die gleiche Beleuchtungsstärke vorhanden sein, wenn man den Zweck des Arbeitsraums und dessen Nutzung nicht kenne. Will heißen: Wenn man nicht weiß, wo man in einem Raum sehen will oder muss, muss der ganze Raum ausgeleuchtet sein. Und immer in vorauseilendem Gehorsam - weil niemand beim Bau eines Gebäudes wissen kann, wie ein Raum in 20 oder 40 Jahren benutzt wird.
Das Ganze heißt glücklicherweise nicht mehr „Allgemeinbeleuchtung“ sondern „Raumbezogene Beleuchtung“ (übrigens die Erfinder dieser Beleuchtungsart sind ein Freund und ich). In der Normensprache (DIN 5035-7) heißt es: „Unter dem Beleuchtungskonzept .Raumbezogene Beleuchtung. wird eine gleichmäßige Beleuchtung des Raumes oder von Raumzonen verstanden, die an allen Stellen etwa gleiche Sehbedingungen schafft.“
„Das Beleuchtungskonzept .Raumbezogene Beleuchtung. wird empfohlen
-- …
-- wenn Arbeitsbereiche in der Planungsphase örtlich nicht zugeordnet werden können
-- wenn die räumliche Ausdehnung der Arbeitsbereiche in der Planungsphase nicht bekannt ist,
-- wenn eine flexible Anordnung der Bildschirmarbeitsplätze vorgesehen ist.“
Ehrlich unter uns gesagt: Bitte immer „Raumbezogene Beleuchtung“ alias Allgemeinbeleuchtung!
Genau diesen Gedanken hat der chinesische Künstler Ai Weiwei aufgegriffen und lässt im Lichthof des Gropius Baus in Berlin 6.000 Hocker aufstellen, als Allgemeinbestuhlung sozusagen. Das Konzept lässt sich auf die Bestuhlung aller Büros anwenden: Weiß man beim Bau eines Raums nicht, wo die Insassen sitzen werden, stellt man es mit Stühlen voll.
Oh, Weiwei!
Anm.: Kann mir einer erklären, warum mir bei lichttechnischen Diskussionen immer dieses Buch einfällt: The Inmates are Running the Asylum?
Allgemeinbestuhlung als Kunst
24.03.14
Fantasien kennt keine Grenzen.
Michael Ende
Dummheit auch nicht!
d. Blogg.