Licht und Erleuchtung
Licht und Erleuchtung
2013
Wenn Menschen etwas Neues schaffen wollen, müssen sie zusammen rücken. Als das Neue eher Betrüblich war, z.B. Krieg, rotteten sie sich zu großen Horden zusammen, später Armee genannt. Erfreulichere Zusammenschlüsse nennen sich Verein, Volk, Laubenpieperkolonie etc. Die ohne jeglichen Zweifel edelsten unter ihnen sind wissenschaftliche Vereinigungen, deren älteste den stolzen Namen Royal Society trägt und seit 1660 existiert.
Die Wissenschaftler gehören einer seltsamen Spezies Mensch an, die nach Wahrheit strebt. Anders als ihre - illegitimen - Vorfahren, die Alchimisten, die den Stein des Weisen suchten, um aus Nix Gold zu produzieren. Auch wenn man klug genug ist, zu wissen, dass die Wahrheit nicht gefunden werden kann - vielleicht, weil es nicht nur die eine gibt? -, handelt man so, dass einem wenigstens nie die Unwahrheit bescheinigt werden kann. Während man einem Verkäufer von Pferden, Vorläufer vom Autoverkäufer, seinen Spruch vom Vormittag nicht am Nachmittag vorhalten darf, kann man dem Wissenschaftler auch im hohen Alter unter die Nase reiben, was er als junger Spund von sich gegeben hat. Auch im Himmel darf er nicht hoffen, dass nie einer ihm die Irrlehre von 1800einundleipzig vorwirft.
Menschen aus anderen Berufsgruppen dürfen sich sogar Sprüche wie „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“ leisten, ohne dass man ihren Namen von Häusern angesehener Stiftungen tilgt (Konrad A.) Was man sich leisten darf, ohne in den Karzer zu müssen, hängt vom Metier ab. So gibt es Vereinigungen, die Interessenverbände sind. Wenn die so handeln würden wie Wissenschaftler, wäre es unwahrscheinlich, dass es noch welche gibt. Sie müssen ggf. kurzfristig dem zu verfolgenden Interesse entsprechend handeln. Ggf. Adenauer zitieren. Als Korrektiv fungieren andere Kräfte, die versuchen, dagegen zu halten. Manchmal müssen die an Adenauer erinnern.
Während all dies zur Demokratie gehört, gibt es natürlich Vereinigungen, die ungehörig handeln. Noch schlimmer: man weiß nicht, wer sie sind und wie man sie zu fassen bekommt. Man stelle einen fiktiven Fall vor, dass jemand vom Arbeitsschutz sich die Aufgabe stellt, ein Regelwerk zu schaffen, in dem neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von Beleuchtung und Gesundheit berücksichtigt werden sollen. Es ist wirklich ein fiktiver Fall. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind … na, ja, den Rest kann man im Vorspann oder Nachspann vieler Filme lesen, frau auch.
Nehmen wir, immer noch fiktiv, an, dieser Jemand hat genug vom Geschwätz der Industrievertreter, und will deswegen deren Präsenz in seinem Ausschuss aufs Nötigste begrenzen. Arbeitsschutz wäre seine ureigenste Aufgabe, befindet er und wähnt die EU-Kommission mit ihm im Bunde, weil diese sich verbeten hat, dass private Organisationen Normen zum Arbeitsschutz erstellen. Das ist allerdings nicht fiktiv. So z.B. darf der Verein Deutscher Ingenieure nicht mehr über die Lärmgrenzen im Büro bestimmen (VDI 2058), weil das nur der Staat darf und nicht der Verein, dessen Ingenieure die lärmenden Maschinen bauen. Warum soll ein Verein, dessen Mitglieder Lampen und Leuchten bauen und verkaufen, bestimmen dürfen, wie viele davon jeder deutsche Arbeitnehmer zu seiner Erleuchtung in den Arbeitsraum gehängt bekommt? Müller dürfen auch nicht bestimmen, ob jemand Kuchen oder Brot aus ihrem Mehl backen muss.
Eines Tages darf unser Jemand frei über seine Zeit verfügen. Völlig frei. Freigestellt. (Immer noch fiktiv). Sein Nachfolger, der das Projekt weiter bearbeiten soll, findet die Industrievertreter gar nicht so geschwätzig, und lädt jede Menge von ihnen zur Mitarbeit ein. Woran? Na, ja! Z.B. zum Abschreiben der Normen, die diese anderswo erstellt haben. Das gab es früher sogar - offiziell - beim Arbeitsminister. Der hat es aber wirklich offiziell angekündigt und vollzogen. Und er durfte das. Zudem wurden die Normen in Zusammenarbeit mit ihm …
Einer der Berater des Nachfolgers von Jemand wundert sich über die wundersame Wandlung des Projekts und stellt dem Projektleiter, der die letzte Sitzung vor Schluss verlassen hatte, die Frage, ob dies denn dem Projektauftrag entspräche. Der antwortet nicht, sondern der Nachfolger von Jemand, der auch den Berater bereits nach einer Stunde in die Lage versetzt, frei über seine Zeit zu verfügen. Und das nach 25 Jahre erfolgreicher Zusammenarbeit mit seiner Organisation. (Bitte immer daran denken: Alles ist fiktiv! Sogar die Ernennungsurkunde!) Jemand und der Berater haben jetzt unendlich viel Zeit, sich zu beraten.
Der nunmehr wirklich fiktive Berater bleibt ruhig. Der berät ja - mit etlichen anderen zusammen - eine durchaus wichtigere Gesellschaft, die „ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolgt“, so nach eigenen Aussagen, denen der Berater auch glaubt. Er hatte ja bei einem der früheren Altvorderen studiert, in dessen Namen der einzige Preis dieser Gesellschaft vergeben wird. Die Gruppe, in der er arbeitet, soll „beispielgebend für zeitgemäße Arbeitsmethoden sein, um einen Beitrag dafür zu leisten, die [Gesellschaft] zu einem modernen Verein zu entwickeln, der Mitgliedern und anderen Interessierten stets aktuelle Informationen bringt.“ Eines Tages wundert er sich, dass er selbst keine aktuellen Meldungen seines Arbeitskreises hat. Auf seine Nachfrage nach anstehenden Terminen erfährt er, seine Mitwirkung sei entfallen. Er möge Verständnis dafür aufbringen. (Hat wirklich nichts mit lebenden oder toten Personen zu tun, ist rein fiktiv). Dass die ganze Sache damit zu tun haben könnte, dass seine Artikel in der Presse dazu geführt haben könnten, dass er jetzt frei über seine Zeit verfügen darf? Vermutlich an den Haaren herbei gezogen. Man lebt doch in einer Demokratie. Und die Artikel werden von Anwendern gerne gelesen und gelobt. Vor allem die Plädoyers für das Tageslicht. Vielleicht war es zu viel des Lobes für das Licht des Herren. Denn die Herren in der - real fiktiven - Gesellschaft, für die er tätig war, leben in Konkurrenz zu dem. Nicht erst seit gestern, sondern seit etwa einem Jahrhundert. Früher wollten sie den hellen Tag nachbilden, heute sind sie einen Schritt weiter. Daher sind ihre Motive leicht zu verstehen. Was weniger leicht verständlich ist indes, warum sie nicht ihre mit bezahlten Mitarbeitern bestückte Vertriebsunterstützungsorganisation, auch Lobby genannt, zum Fördern der Geschäfte benutzen. Denn diese Gesellschaft verfolgt „ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke“. Ehrenwort!
Am Ende der Geschichte hatte der - fiktive - Berater reichlich -reelle- Zeit, um durch Beratung Geld zu verdienen. Falls er noch nicht gestorben ist, berät er immer noch.
Die Erleuchtung kam ihm durch die Worte von Napoleon, der den Kritikern seiner Soldaten, die meinten, diese würden für Geld kämpfen, entgegnete: Man kann für Ehre oder für Geld kämpfen. Jeder kämpft für das, was ihm fehlt. So laßt euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen. Wäre auch kein schlechter Spruch. Die Wahrheit ans Licht - ans Tageslicht … Nicht unter den Scheffel stellen!
Der Wahrheit ans Tageslicht helfen
14.05.13
Man sagt, das Licht verkörpere das Gute. Manchmal ist es so, dass das Licht so hell ist, dass man nur noch Schatten sehen kann.
Benjamin Stramke