Licht und Gesundheit
Licht und Gesundheit
2013
Dass Licht tödlich sein kann, hatte ich mal in dem Institut für wissenschaftlichen Film in Göttingen eindrucksvoll erlebt. Eine arme Fliege, die sich auf ihre Rolle als Hauptdarstellerin freute, zischte einfach ins Jenseits, als die Scheinwerfer mit 500.000 lx auf sie schossen. Da auch das Institut nicht mehr lebt, kommt das nur noch in Star Wars vor. Falsches Licht tötet nicht - es lässt die Menschen nur leiden.
Die wahre Gefahr ist viel subtiler. Sie folgt der unendlichen Langsamkeit der ach so ultraschnellen Gesellschaft. Heute fand ich ein Dokument, dessen Inhalt ich eigentlich kannte, aber nicht dort vermutete, wo ich es fand. Im „Neufert“ - das ist das Buch wonach deutsche Architekten seit dem Jahr 1936 ausgebildet werden. Immer nach der neuesten Ausgabe, selbstverständlich! Selbstverständlich?
In meiner Ausgabe von der Jahrtausendwende heißt es:
BAP - d.h. Bildschirmarbeitsplatz - in fensterfreien Zonen installieren!
Wer kommt auf eine solche Schnapsidee? Zufällig kenne ich alle Täter - und zwar lückenlos. Aber zuerst zum Töten: Wie man in diesem Blog vielfach lesen kann, ist Tageslicht lebenswichtig. Zu dieser Weisheit bedurfte es keines Blogs, weil dies in der Antike nicht nur bekannt war, sondern tägliche Praxis. Man heilte sogar mit Licht - Solarium im Alten Rom war keine Bräunungs- sondern eine Heilanstalt. Zwar hatte der deutsche Gesetzgeber die Sache in seiner Arbeitsstättenverordnung vergessen, aber nur, weil die deutschen Länder Vorschriften pflegen, die für alle Aufenthaltsräume - mehr oder weniger - Tageslicht sichern, das sind die Landesbauordnungen. Seit 2004 steht es auch in der Arbeitsstättenverordnung - und in den entsprechenden Gesetzen aller EU-Länder.
Ausgerechnet ein Arbeitsmediziner aus Schweden, der den Menschen Gutes tun wollte, schlug 1974 vor, die Arbeitsräume abzudunkeln, weil die Bildschirme ansonsten schlecht lesbar waren. Schlecht ist die Idee nicht, wie man in - damals - Tausenden von Kinos erleben konnte. Von den Millionen von Diavorträgen bei Kongressen oder quälerisch veranlagten Bekannten ganz zu schweigen. Wer da einschlief, hat die Ursache für seine Unpässlichkeit beim Redner oder bei den unsäglichen Urlaubsdias gewähnt. An Licht hat man weniger gedacht.
Es dauerte nicht sehr lange, und auch in Deutschland hatten Menschen Augenprobleme am Bildschirm. Die Ursache war schwups gefunden: Das muss der Bildschirm sein. Und? Ja, der reflektiert das Licht immer so komisch. Also? Man baut überall Stellwände auf, hinter denen man die Bildschirme versteckt. Und versetzt die BAP dorthin, wo keiner sitzen will.
Kaum zu glauben, dass dies ein Hersteller von Computern hat zeichnen und veröffentlichen lassen. Dass sein Unternehmen später einging, hat weniger mit dieser schlechten Werbung für seine Produkte zu tun. Er hat den PC verschlafen. Vielleicht weil er immer hinten in der Dunkelzone gearbeitet hat?
Nun konnte der Grösste im Lande sich nicht mehr zurückhalten, weil auch er die Augenbeschwerden auf irgend etwas schieben wollte, nur nicht auf seine Bildschirme. Also gab auch er eine Empfehlung heraus:
Jetzt sieht das Ganze viel hübscher aus. Oder? Man merke: Die Bilder sind in den Corporate Colours der jeweiligen Firma designt. Da mussten selbst die Blumentöppe dran glauben.
Nun hatte dieser außer dem Bildschirmverkauf noch ein Geschäft: Leuchten. Warum soll man nicht ein Geschäft daraus machen? Ergo machte man sich daran, eine neue Leuchte zu kreiieren, die allerdings so neu nicht war, aber der Name: BAP-Leuchte. Die ultimative Leuchte für den modernen Bildschirmarbeitsplatz.
Da die Leute nicht so dumm sind, in solche Dinge große Summen zu investieren, musste das ganze in eine Norm gegossen werden. Und da sah die Bude so aus:
Bildschirme so weit weg wie möglich vom Tageslicht. So weit, so gut. Dass in dem letzten Bild die Blumentöpfe fehlen bzw. die Stellwände, hat mit den Corporate Colours von DIN nichts zu tun. Normen kannten damals Farbe nicht. Aber Bildschirmtische. Und die sahen nie so aus wie in diesem Bild. Die Berufsgenossenschaft hätte deren Betrieb schnell ein Ende gemacht. Die Tische sehen nur deswegen so schmal aus, weil das Konzept sonst theoretisch nicht funktioniert. In der Praxis übrigens auch nicht.
Man hat in der Lichttechnik den Fehler eingesehen - zwar unfreiwillig durch jahrzehntelange Seelenmassage durch uns -, aber immerhin. Die EU hat in den Jahren als mein Neufert gedruckt wurde, enorm viel Geld in Forschungsvorhaben zu Tageslicht gesteckt. Und dann das!
Verwunderlich ist das Ganze für mich aufgrund mancher Erfahrung nicht. Als mir ein Architekt bei einem Prozess erklärt hatte, er habe den von mir beanstandeten Raum nach A. Dürer gestaltet, hatte ich mich daran gemacht, festzustellen, wer dieser ominöse Mensch sei, den man anstelle einer anthropometrischen Norm (heißt übrigens DIN 33402) heranzieht. Tatsächlich, in meinem Neufert wird er groß herausgestellt als „Masz aller Dinge“, der mit dem Hasen. Herr Albrecht Dürer - gestorben am 6. April 1528.
Menschen, deren Arbeitsplätze mit Bildschirm dicht am Fenster stehen, haben weniger Augenbeschwerden als die, die in der Raumtiefe sitzen. So nach meinem Forschungsbericht „Licht und Gesundheit“ vom Jahre 1990. Hingegen leiden Menschen, die unter der Beleuchtung sitzen, die für die „Bildschirmarbeit“ erfunden wurde, gesundheitlich mehr als andere unter jeder anderen Beleuchtung. Mal sehen, wann die Architektur unsere Geschichte des kollektiven Versagens aufgreift und beseitigt. Hoffentlich nicht in in weiteren 500 Jahren. Zum 1000. Todestag von A. D.
Kann Licht töten? Dummheit schon …
24.04.13
Nur die Unbelehrbaren überstehen jede Lebensschule.
Martin Gerhard Reisenberg
Kann man in der Lebensschule sitzen bleiben?
©d. Blogg