Licht und Sicht
Licht und Sicht
2012
Gestern musste ich über die neue Arbeitsstättenverordnung sinnieren. So neu ist sie auch wieder nicht, aber vielen immer noch fremd, obwohl in 2004 veröffentlicht. Die Mitarbeiter der DGUV, so heißen die ehemaligen Berufsgenossenschaften heute, die den Betrieben auch mal Auflagen machen müssen, können sich nicht mehr auf die ArbStättV berufen, in der z.B. zu lesen stand: „Die freie unverstellte Fläche am Arbeitsplatz muß so bemessen sein, daß sich die Arbeitnehmer bei ihrer Tätigkeit unbehindert bewegen können. Für jeden Arbeitnehmer muß an seinem Arbeitsplatz mindestens eine freie Bewegungsfläche von 1,50 m2 zur Verfügung stehen. Die freie Bewegungsfläche soll an keiner Stelle weniger als 1,00 m breit sein.“, sondern „Die freie unverstellte Fläche am Arbeitsplatz muss so bemessen sein, dass sich die Beschäftigten bei ihrer Tätigkeit ungehindert bewegen können.“ Die Maße sind also entfallen. So etwas nennt man Deregulierung und soll Leuten helfen, die von Vorschriften stranguliert wurden. Tolle Sache! Wie sie funktionieren kann, sieht man an den Banken. Durch die Deregulierung der Finanzmärkte hatten sie endlich die Freiheit, nicht nur sich selbst zu versenken, sondern etliche einst stolze Volkswirtschaften mit. Die allergrößte aller Zeiten wackelt immer noch. So musste dieser Tage unsere die Freiheit über alles liebende FDP einer neuen Steuer zustimmen, die Jürgen Trittin im Bundestag mit den Worten kommentierte „Das ist, als wenn der Papst mit Volker Beck auf Christopher Street Day für sexuelle Selbtbestimmung demonstriert.“ Die grenzenlose Freiheit der Banken dauerte keine zwei Jahrzehnte. Seit 2008 versuchen die Großkopfeten der Politik, die Trümmer wegzuräumen. Mal sehen, welche Leichen noch drunter liegen.
Die Täter, die die ArbStättV hingerichtet haben, heißen Edi Stoiber und Wolfgang Clement. Ausgenutzt haben sie die Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland für drei Jahre keinen Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hatte. Clement war Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit und verstand seine Aufgaben genau in dieser Reihenfolge. (Mehr über sein Leben nach dem Austritt aus der SPD in Lobbipedia.)
Bei der Renovierung der ArbStättV wurden nicht nur so überflüssige Maße wie die Breite des Bewegungsraums beseitigt. Wer braucht denn so was? Auch ein Alleinstellungsmerkmal der Republik fiel ihr zum Opfer: Die BRD ist das einzige Land der Erde gewesen, in dem jeder Arbeitnehmer ein gesetzlich verbrieftes Recht auf freie Sichtverbindung nach außen hatte. Seit 2004 gilt das nicht mehr. Wozu auch? Clements Klientel, z.B. die Leiharbeitsbranche, braucht keine Gesetze, die Leute begünstigen, die den ganzen Tag aus dem Fenster gucken. Das sollen die Abends zu Hause.
So ganz ist der Coup doch nicht gelungen, die neue Vorschrift heißt immer noch „3.4 Beleuchtung und Sichtverbindung“. Von Sichtverbindung nach außen ist indes leider, leider keine Rede mehr. Vielleicht darf man in die Röhre gucken? Das tut ein Arbeitnehmer sicherlich, wenn er klagt.
Eigentlich schade, denn als der Herr Ex-Bundesminister noch politischer Redakteur, Ressortleiter und stv. Chefredakteur der Westfälischen Rundschau war, hatte das Bundesland, das er später als Minister und Ministerpräsident lenken sollte, NRW, meinem früheren Chef viel Geld gegeben, um die Kommunikation mit der Außenwelt zu untersuchen.
Und? Was bringt das? Als das besagte Projekt lief, glaubte man andernorts, Fenster seien überflüssig, und nicht nur in Amerika, dem Land der unbegrenzten Absurditäten, sondern sogar in Berlin wurden Schulen ohne Fenster gebaut. NRW wollte eine gute Begründung für Fenster haben. Sie wurde geliefert und kam eben in die ArbStättV von 1975. Anderswo hat man sogar noch schlagkräftigere Argumente pro Sichtverbindung erarbeitet: Sowohl aus Korea als auch aus den USA gibt es Studien, die nachgewiesen haben, dass die Qualität der Aussicht nach außen die Heilung von Kranken beschleunigt, den Krankenhausaufenhalt verkürzt und den Konsum an Schmerzmitteln reduziert.
Bei so vielen gegenläufigen Erkenntnissen eine Vorschrift abzuschaffen, war mit Sicherheit nicht dadurch motiviert, dass dem Arbeitnehmer gedient werden sollte. Dem Arbeitgeber nützt die sicherlich auch nicht, weil auch der sich Sorgen um die Sicherheit und Gesundheit seiner Mitarbeiter macht. Bleibt die „Wirtschaft“! Wenn man Kranke mit guter Aussicht heilt, bzw. Gesunde gesund hält, wie füllt man die Krankenhäuser und die Kassen der Pharmaindustrie? Kleiner Scherz - der Minister war nie Lobbyist von Bayer Leverkusen, sondern eher des russischen Beratungsunternehmens Energy Consulting - und solche Unternehmen verloren eher durch die neue ArbStättv. Die schreibt nämlich Tageslicht als Beleuchtung vor. Damit spart man Energie. Wie kommt dies aber ohne Fenster in die Arbeitsstätte? Steht in „Das Lalebuch. Wunderseltsame, abenteuerliche, unerhörte und bisher unbeschriebene Geschichten und Taten der Lalen zu Laleburg“ geschrieben. Das Buch erschien später mit anderem Titel, der den Streich genau bezeichnet.
Macht kaputt, aber nicht alles!
02.07.12
Um einen Stein aus dem Brunnen zu holen, den ein Irrer hinein geworfen hat, braucht man 40 Weise.
orientalische Weisheit
Aber bitte keine Wirtschaftsweisen!
Dr. Sarkas