Licht und Verschwendung
Licht und Verschwendung
2012
Kaum eine „Wissenschaft“ ist populärer als die, die sich mit „optischen Täuschungen“ befasst. Physiker, Ärzte, Mathematiker oder sonstige Künstler geben sich größte Mühe, Phänomene zu präsentieren, die eine Täuschung unserer Sinne sichtbar machen. Eine der umfangreichsten Websites hierzu sollte man nicht nur besuchen, sondern abarbeiten. Dort sind 94 Phänomene dargestellt (http://www.michaelbach.de/ot/).
Bei allen 94 werden fast alle Menschen mit intakten Augen und Gehirn dasselbe sehen. Wieso nennt man so etwas dann Täuschung? Wer täuscht denn was vor? Auch ohne Besuch dieser Website erliegen täglich Milliarden Menschen einer Täuschung, und zwar stundenlang. Das Fernsehen beruht auf einer Täuschung, ich meine nicht den Inhalt, sondern die „Mechanik“. Dass wir bei einer Folge von ähnlichen Bildern Bewegungen sehen, ist seit dem Daumenkino bekannt, also schon sehr lange. Eine Täuschung indes scheint zu sein, dass man dies mit der Trägheit des Auges erklärt. Das dumme Ding kann angeblich der schnellen Bildfolge nicht Paroli bieten und erklärt dem Gehirn, dass es sich um Bewegungen handele. Ob das keine Täuschung ist?
Menschen, die beim Auge mehr als eine Überwachungskamera vermuten, nämlich viel Software, behaupten hingegen, dass das Sehen von Bewegungen von der Erfahrung herrührt. Diese besagt, wenn ich das gleiche Ding erst hier, dann dort entdecke, muss es sich von hier nach dorthin bewegt haben. Sei´s drum!
Eine andere optische „Täuschung“, mit der täglich Millionen Studenten und Schüler auf der Welt unterrichtet werden, ist indes geeignet, eine der wichtigsten Grundgrößen der Beleuchtung auszuhebeln. Es handelt sich hierbei um die Projektion von Bildern auf eine - hoffentlich - weiße Leinwand und die Größe „Gleichmäßigkeit“. Anders als die Weisheit, die besagt, dass ein beleuchtetes Objekt hierdurch mehr oder weniger heller werde, werden bestimmte Stellen auf der weißen Leinwand durch Beleuchten nicht etwa heller, sondern u.U. schwarz. Eine optische Täuschung? Nein, man kann die Sache sogar berechnen. Würde man die nunmehr schwarze Stelle für sich allein sehen, würde sie viel heller leuchten als vorher. Man sieht sie aber schwarz, weil die Umgebung viel heller wird. Einem Leuchtdichtemesser scheint die schwarze Stelle überhaupt nicht schwarz. Er misst sogar eine höhere Leuchtdichte als vorher. Wer es nicht glauben will, möge sich eine Leinwand, einen Beamer und einen Leuchtdichtemesser besorgen und einen Strich auf die Leinwand projizieren.
Und? Ist doch bekannt, man sieht es womöglich tagtäglich und überall. Stimmt! Es stimmt aber auch, dass man in der Beleuchtungstechnik eine Gleichmäßigkeit über den ganzen Raum berechnet und sich riesig freut, wenn der Mittelwert hoch genug ist. Zu dem Mittelwert gehört sinnvollerweise eine Angabe der Gleichmäßigkeit, und zwar von g2, also des Verhältnisses der geringsten Beleuchtungsstärke zum Mittelwert. Und bei ihr handelt es sich um eine lupenreine Täuschung. Denn jemand, an dessen Arbeitsplatz gerade mal dieser Wert erreicht wird, hat bestenfalls Nachteile davon, dass die umliegenden Arbeitsplätze mehr Licht abbekommen. (g2 hat den Platz einer moderneren Version überlassen müssen (U0), die dummerweise in DIN EN 12464-1 und DIN EN 12665 irgendwo versteckt liegt.) Wenn die Beleuchtungsstärke auf meinem Arbeitsplatz wichtig sein soll, was zum Teufel habe ich davon, dass der Arbeitplatz meines Nachbarn mehr davon erhält? Nicht nichts, sondern vielmehr einen Nachteil.
Noch schlimmer wirkt sich indes aus, dass der Maximalwert nicht begrenzt ist. Man kann also theoretisch einen massiven Scheinwerfer in einem Büro installieren, der nur eine so kleine Stelle beleuchtet, dass bei der Berechnung des Mittelwertes sein Beitrag erträglich bleibt, und daher der Täter keine Angst haben muss, dabei erwischt zu werden, beleuchtungstechnisch Unfug zu betreiben. Ist ein solcher Fall für die Praxis relevant?
Ja. Man installiert heute noch „Scheinwerfer“, das sind tiefstrahlende Leuchten, in Arbeitsräume, bei denen die Beleuchtung selbst auf einem einzigen Arbeitstisch sehr ungleichmäßig ist. Dummerweise arbeitet der Mensch an solchen Arbeitsplätzen an der dunkelsten Stelle. Ein solches Beispiel hatte ich bei einem Vortrag angeführt und von dem Leiter der Entwicklung einer großen Firma die hämische Bemerkung geerntet, dass man durch Vorführen von blödsinnigen Beispielen zwar Politik machen kann, aber keinen sachlichen Beitrag leisten. Dumm für ihn - die Planung, die ich vorgeführt hatte, stammte von seiner Firma. Und was tun andere? Man kann es anders nicht machen. Wie denn sonst, wenn man Regeln so setzt, dass Licht nur von einer kleinen Stelle in der Decke kommen darf? Da dort keine Leuchte sein darf, weil sonst „Reflexblendung“ zu befürchten wäre, hängt man die Leuchten rechts und links vom Benutzer und erreicht somit das, worüber sich mein Kritiker amüsiert hatte. Zum Lachen ist die Sache nicht, wenn Techniker die Physik missachten. Davon leben sie.
Und so sah die Sache am Ende aus:
Während die Ränder des Tisches und der Teppich daneben mit etwa 700 lx beleuchtet werden, steht auf dem Papier, das beleuchtet werden soll, nur 300 lx zur Verfügung. Das Konzept gibt es seit mindestens 35 Jahren! Wieso muss man es im Jahre 2012 anführen? Weil dies die billigste Methode ist, möglichst viel Lux in der Arbeitsebene zu erreichen.
Im Mittel hatte dieser Raum etwa 600 lx, hauptsächlich weil der Teppich so schön beleuchtet war. Die Ungleichmäßigkeit auf dem Tisch fiel nicht weiter ins Gewicht, weil man ja nicht verpflichtet ist, jeden Punkt auszumessen. Ein Wolkenkuckucksheim der technischen Glückseligkeit.
Den vorliegenden „Sonderfall“ hatte ich etwa 1992 gemessen. Aber ich kann auch mit Messwerten von 2012 dienen. Es wird auch so bleiben, bis man eine Methode entwickelt hat, das Licht um die Ecke zu biegen. Die hat zwar Einstein nachgewiesen. Aber dazu braucht man die Masse der Sonne. Dann fliegt das Licht nicht mehr geradeaus.
Licht, das das Sehen am Arbeitsplatz eher behindert, wird somit so eingerechnet, dass das Licht zum Sehen besser erscheint, obwohl das Gegenteil des Fall ist. Man müsste eher einen Abschlag berechnen.
Dort, wo man theoretisch richtig handelt, bei der Bewertung der Ausleuchtung, hingegen betrachtet man als Gleichmäßigkeit das Verhältnis der höchsten und der geringsten Beleuchtungsstärke. Auch wenn dies auch nicht der Weisheit letzter Schluss ist, besser ist es allemal. Früher lernte man in der Lichttechnik beide Gleichmäßigkeiten.
Somit wären wir bei des Pudels Kern: Sehobjekte brauchen eine Ausleuchtung, und zwar eine möglichst gleichmäßige. Am Arbeitsplatz kann das das zu lesende Dokument sein, aber auch eine fiktive Fläche. Eine solche wurde für Arbeitsplatzleuchten (DIN 5035-8) für übliche Büroarbeiten auf 600 mm x 600 mm festgelegt. Das sind 4 DIN-A4-Blätter, jeweils zwei nebeneinander und zwei hintereinander bzw. zwei geöffnete Leitz-Ordner hintereinander, beidseitig lesbar. Gute Produkte leuchten diese Fläche so gut aus, dass das Licht am Rande vielleicht um 20 % abfällt. Wenn man nach den Normen geht, ist das viel zu gut.
Hingegen dient die Gleichmäßigkeit, die in den Beleuchtungsnormen vorgegeben wird, nicht etwa zum optimalen Einsatz der Energie, die man aufwendet, sondern nur dem Nachweis, dass man das Licht ziemlich gleichmäßig über den Raum verteilt hat. Eigentlich hassen Architekten diese Gleichmäßigkeit, würden aber genauso schimpfen, wenn die Ausleuchtung der Sehobjekte gerade mal so gleichmäßig wäre, wie in den Normen gefordert.
Bis Planer den Unterschied zwischen Be- und Ausleuchtung verstanden haben, wird viel Energie auch in schädlicher Funktion verluxt werden und Teppiche beleuchten. Bei diesem Unsinn handelt sich nicht nur um eine Energieverschwendung großen Stils. Lichtverschmutzung zum Nachteil des arbeitenden Menschen wäre eher angebracht.
Und gib´ uns unsere tägliche Täuschung
07.03.12
Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont.
Konrad Adenauer
Muss der gleichmäßig beleuchtet werden?
d. Blog.
Hier ist der Tisch
Hier fällt das meiste Licht, also daneben.