Licht und Lüge
Licht und Lüge
2012
Soeben ist der zweite Präsident der Bundesrepublik Deutschland zurück getreten. Auch beim Abgang hat er bekräftigt, er habe trotz seiner Fehler immer aufrichtig gehandelt. Die juristische Prüfung der ihm vorgeworfenen Dinge werde ihn völlig entlasten. Ich schätze mal, er wird recht behalten. Denn, wer sich vernünftig diesseits der Kante des Zulässigen hält, kann von Juristen nicht belangt werden. Die Weisheit gilt nicht nur für ehemalige Bundespräsidenten, sondern erst recht für Lobbyisten oder gar Gesinnungstäter, wie übel sie den Mitmenschen auch mitspielen.
Von den letzteren, Gesinnungstätern, kenne ich jede Menge, darunter Kollegen, die nicht im Traum daran denken, etwas Unrechtes getan zu haben. Sie üben nur ihren Beruf aus. Sie sind alle Lichttechniker, die auch ohne Auftrag als Gralshüter ihrer - vermeintlichen - Disziplin fungieren. Für einen Menschen beliebiger Herkunft genügt es ins Lager der Aliens verbannt zu werden, einmal im Leben Leuchtdichte mit Leuchtstärke zu verwechseln. Und das reicht für ewig. So ein Missetäter hieß Hollwich, seine Missetat Leuchtstoffröhre statt Leuchtstofflampe gesagt zu haben. Er blieb bis ins hohe Alter Buhmann, immerhin nicht ewig.
Interessanter der Kontext seiner Missetat: Hollwich hatte in den spätem 1940er Jahren herausgefunden, dass viele Funktionen des menschlichen Körpers von der Beleuchtung und dessen Spektrum beeinflusst, oder gar gesteuert würden. Eigentlich müsste jeder Lichttechniker bei der Nachricht die Hände gerieben haben. Eine solche Aufwertung des Metiers hat es selten gegeben. Aber NEIN! Hollwich besaß die Frechheit, den Liebling der Technik, die Leuchtstofflampe, wegen ihres miserablen Spektrums anzugreifen. Also, ab in den Karzer!
Einem anderen, der etwas nicht weniger Bedeutsames ermittelt hat, drohte nicht etwa ein ähnliches Schicksal, er musste es sogar erleben und überstehen. Diesmal handelt es sich aber nicht um eine Historie, sondern um die blanke Gegenwart. Die Rede ist von Michael Holick und der Entdeckung des Vitamin-D Defizits bei den Menschen. Was tut man mit einem, der nachgewiesen zu haben glaubt, dass die Gesundheit des Menschen vom Licht abhängt, und dies mit epidemiologischen Studien begründet und ein Buch schreibt? Richtig! Feuern.
Anders als deutsche Professoren, denen bereits bei der Berufung eine Tube Pattex mitgeliefert wird, damit sie selbst bei einem Sturz ihres Lehrstuhls noch daran kleben, können amerikanische Universitäten ihre Profs in die Prairie jagen. So auch Holick: Die unverzeihliche Missetat: Zu behaupten, Menschen nördlich von Atlanta hätten ein Vitamin-D Defizit, weil die Hauptquelle für Vitamin-D die Sonne sei. Als Folge hiervon würden die Menschen höheren Risiken z.B. bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Brustkrebs und Dickdarmkrebs ausgesetzt. Die Universität Boston feuerte Holick im Jahre 2004 wegen seines Buches „UV Advantage“ (mehr hier http://www.scientificamerican.com/blog/post.cfm?id=five-years-after-being-fired-sun-ex-2009-01-30, oder hier Holick, MF and Jenkins, M. The UV Advantage, iBooks: New York, 2004.)
Reicht es, solche Ketzer zu feuern? Müsste man sie nicht auch daran hindern, weiter zu publizieren? Im Mittelalter hat man solchen Leuten z.B. die Zunge abgeschnitten, damit sie nicht weiter reden können. Heute hülfen solche Methoden nicht, weil der Kerl notfalls noch SMS mit der Nase tippen könnte. Was tun also? Vorschlag: In ein modernes Büro mit einer Klimahülle aus Glas setzen. Das dreifache Glas reduziert die Menge an UV, die in den Raum kommt, derart, dass man astronomische Methoden bräuchte, um die Strahlung nachzuweisen. So kriegt man selbst einen harten Knochen wie Holick weich.
Hat Holick etwa etwas Falsches gesagt oder geschrieben, so dass die Uni Boston hätte ihn unbedingt feuern müssen? Nicht doch, lange vor ihm hatte ein anderer behauptet, Licht in Innenräumen könne nicht gesund sein, weil dort UV fehle. Der hieß Matthew Luckiesh und hatte die Sache in einem Buch 1926 auf´s Tapet gebracht. Die Uni Michigan, nicht weit entfernt von Boston, hat Luckiesh nicht gefeuert, obwohl die Kritiker des Buchs ihm vorgeworfen hatten, UV zu thematisieren sei wohl der größte Unsinn, weil Inder, die dauernd in der Sonne lebten eher stürben als Amerikaner. Vielleicht lag es daran, dass Luckiesh einige Jahre später etwas schrieb, was ihn für die mächtige Hautcreme-Lobby annehmbar machte. Was er geschrieben hat, lässt sich nur unter Bezahlung von 30 US-$ ermitteln, weil sein Papier kein Abstract enthielt. Wer es dennoch will, kann versuchen (REACTION OF UNTANNED HUMAN SKIN TO ULTRAVIOLET RADIATION, M. LUCKIESH, L. L. HOLLADAY, and A. H. TAYLOR, http://dx.doi.org/10.1364/JOSA.20.000423).
Mit seiner Rehabilitation zog Luckiesh mit Galileo Galilei gleich, den zwar der Papst verdammt hatte, aber halt in Ruhe ließ, sofern er nicht weiter behauptete, die Erde könne keine Scheibe sein. Wie wir heute wissen, hatte der Papst recht … als er Galilei rehabilitierte, über 400 Jahre später.
Wo liegt nun die Sünde des Lichttechnikers? Ich glaube darin, zu glauben und andere glauben zu machen, in Innenräumen könne es gesundes Licht geben. Diese Irreführung hatte bereits begonnen, bevor der älteste heute lebende Lichttechniker geboren wurde. Man hatte Licht so definiert, dass darin UV nicht vorkam. Ansonsten müsste man nämlich sagen, dass das Tageslicht gesund sei und Kunstlicht, na, ja! In Maßen genossen als Beleuchtung zum Sehen. Notgedrungen, weil man das Sonnenlicht nicht in Säcke füllen und ins Rathaus tragen kann wie weiland in einer Kleinstadt in der Schweiz.
Würde davon der Wert des künstlichen Lichts geschmälert? Ich meine, kaum. Es gibt zum einen genug Bedarf für künstliche Beleuchtung als Ersatz für Tageslicht. Zum anderen gibt es eine breite Palette Anwendungen, bei denen die künstliche Beleuchtung der natürlichen haushoch überlegen ist, und andere, bei denen es schwarz um Tageslicht aussähe. Also? Man muss nur der Lichttechnik den Zahn ziehen, den lichten Tag nachmachen zu können. Da sieht man immer mau aus. Und die Jünger so lange schulen, bis die wirklich verinnerlichen, dass man mit Lux und Lumen keine menschengerechte Umgebung basteln kann.
Wer übernimmt aber die Schulung? Auch Lichttechniker, es gibt nämlich auch so´ne.
Bis dahin wird es aber noch Beleuchtungsnormen geben, die behaupten, die Sicherheit und Gesundheit des Menschen berücksichtigt zu haben (so DIN EN 12464-1, insbesondere ISO 8995-1:2002 (CIE S 008/E:2001)). Und viele Menschen werden an diversen Krebserkrankungen sterben, die vielleicht vermeidbar wären, wenn man Leuten wie Holick glauben würde, anstelle sie zu feuern.
Und sie dreht sich doch …
17.02.12
Es ist nicht deine Schuld, dass du geboren bist, aber es ist deine Schuld, wenn du vergebens gelebt hast.
Anonymus
Wieso ich?
d. Blog.