Licht und Lügen drumherum
Licht und Lügen drumherum
2011
Das Buch über das ich gestern berichtet hatte, „Lügendes Licht“, fängt mit einer bemerkenswerten Seite an: Die 1000-Stunden Glühlampe: gewollter Stillstand. Sie versetzt uns zurück an den Anfang des verflossenen Jahrhunderts:
1920er Jahre: Die Comedian Harmonists auf Schellackplatten tönen aus Trichtergrammofonen, als das Phoebus-Kartell die Lebensdauer der Edison-Birne festlegt.
Die Glühlampe brennt 1000 Stunden.
Es folgen die Jahrzehnte mit Zarah Leander, Glenn Miller, Rolling Stones, ABBA, Falco und David Bowie, Nirwana, Youtube und die 2010er, dessen Star, eine Doktorarbeit eines Politikers von dem Ort, wo sich Politiker sonst wegen überlanger Opernvorstellungen Kameras stellen. Und?
Die Glühlampe brennt 1000 Stunden.
Aber: Die ineffiziente Glühlampe mit der zu kurzen Lebensdauer wird abgeschaltet.
Als ich die Story mit den 1000 Stunden kennen lernte, waren die Rolling Stones in Berlin und ließen die Waldbühne zerlegen. Ich lernte sie aber keineswegs in einer Märchenstunde - unser Professor, der sie zu Zeiten von Glenn Miller gelernt hatte, erklärte uns, die 1000 Stunden wären eine Optimierung zwischen Herstellkosten, Energiekosten, Betriebskosten usw. Was ich später lernen sollte, bedeutet eine Optimierung, das Beste unter den gegebenen Umständen zu erzielen. Ich vermute, die Enkel unseres Lehrers auf seinem Lehrstuhl erzählten im Youtube-Zeitalter dieselbe Geschichte. Und werden sie vielleicht beim Abschiedskonzert von Rolling Stones weiter erzählen, so diese jemals aufhören zu singen.
Haben sich die Umstände in den 90 Jahren seit den Comedian Harmonists nicht geändert? Nein, und nochmals nein. Wieso denn nein? Wenn sich Firmen absprechen, etwas so zu halten, wie es nach ihrem Willen nützlich ist, nennt man dies ein Kartell. Das lehrte uns die Soziologie-Lehrerin an meiner Schule. Und Kartelle seien verboten, stand in unserem Buch für Staatsbürgerkunde. Also kann es doch kein Kartell geben - schon gar keines, dass über 90 Jahre funktioniert. In der Zeit hat die Welt doch zwei der grausamsten Kriege ihrer Geschichte erlebt, und die 12 Jahre des Tausendjährigen Reichs sowie den Aufstieg und Untergang des Sozialismus. Da soll ein Kartell sogar länger gehalten haben?
Die wissenden Herrschaften weisen die Sache von sich. Es habe kein Kartell gegeben, schon gar keines namens Phoebus. Basta! Ich muss dem nicht widersprechen, denn aus dem gleichen Stall, der Elektroindustrie, stammte ein Kartell, das im Jahre 1997 abgeschaltet wurde. Es war im Jahre 1902 (!) gegründet worden und wurde nach 95 Jahren verboten, weil ein Aussteiger die Hersteller von Stromkabeln verpfiffen hatte. Kann sich jemand vorstellen, dass Zehntausende von Männern (Frauen gibt es in der Branche nur als Kabelwicklerinnen) über 95 Jahre schweigen? Oder? Es gibt auch andere Möglichkeiten - wie wär´s z.B. mit 10.000 Politikern, die 95 Jahre weghören?
Wie dem auch sei, die Geschichte des Lichts ist eng mit der des Kabels verbunden - kein Licht, kein Kabel. Kein Kabel - kein Kraftwerk! Im Anfang war das Licht - sagt die Bibel. Eine modernere Version davon sagt: „Im Anfang war die Dynamomaschine“. Damit sein Strom nicht nutzlos im Äther verschwinde, sprach der Herr „Es muss Licht werden!“ Und man verlege Kabel, damit der Strom zu den Lampen komme. Damit sich nicht etwa Fremde an den Kuchen machen, müssen alle drei Säulen, auf denen das Gebäude steht, Kraftwerk, Kabel, Lampe, gut geschützt werden. Und zwar so gut, dass ihm auch zwei Weltkriege nichts haben anhaben können.
Als ich vor einigen Stunden ein Kraftwerksgebäude in Japan wie eine Bombe auseinander fliegen sah, erinnerte ich mich an meinen Besuch in einem japanischen Kernkraftwerk in den 1990er Jahren. Damals war ich Mitglied in der Reaktorsicherheitskommission und interessierte mich für die Aufstellung eines Systems, das Reaktorunfälle unwahrscheinlicher machen würde, indem man kleinere Unfälle unter der staatlichen Meldeschwelle erfasst, analysiert und auf ihre Ursachen zurückschließt, die auch zu größeren Unfällen führen könnten. Damals stellte ich fest, dass die Betreiber von Kernkraftwerken auch bei Ereignissen, die sie hätten melden müssen, doppelt so viele Fälle im eigenen Rechner führten wie offiziell gemeldet. Auch in Deutschland haben sich die Betreiber mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, dass eine staatliche Kommission ein solches System führt. Privat hat man es hingegen eingeführt. Es gibt eben staatliche Einrichtungen - aber auch überstaatliche … Kein Wunder in einem Land, in dem der Bundeskanzler sein Ehrenwort für höherwertig hält als die Verfassung des Landes, die zu achten und zu schützen er geschworen hat.
Wir werden vielleicht in den nächsten Stunden, vielleicht auch später erfahren, wie das Lügengebäude einer überstaatlichen Organisation in Japan zusammen bricht. Eigentlich ist er doch zusammengebrochen … Ein Unfall in der Kerntechnik hat eine Wahrscheinlichkeit von 1 zu 10.000 Jahren, hieß es. Da wir bereits zwei innerhalb von weniger als 10 Jahren hatten (Three Mile Island und Tschernobyl), muss der Reaktor in Fukushima 2 x 10.000 Jahre halten. Zwar soll die Kernschmelze vor einigen Minuten begonnen haben. Es gibt aber bestimmt Experten, die einem erklären, das sei nicht so schlimm, weil der Wind nicht in unsere Richtung weht.
Um die Nacht hell wie den lichten Tag zu machen, das aber preiswert, hat man beschlossen, die Energie aus der Hölle zu holen. Jetzt zeigt uns der Teufel, was ein Pferdefuß ist. Wie in Fukushima Störfälle vertuscht wurden, kann man in Welt Online lesen. Weiter unten erscheint die Geschichte vom 95-jährigen Kartell aus Spiegel Online. Man sieht: Nichts hält ewig. (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8722069.html)
Lügendes Licht und Kabelsalat
12.03.11
Wer seine Energie aus der Hölle holen will, weil sie dort billiger ist, sollte sich nicht über die Gesellschaft des Teufels aufregen.
d. Blog.