Licht und Visueller Komfort
Licht und Visueller Komfort
2011
Gestern entdeckten wir etwas, was wir hätten längst wissen müssen. Der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat ein sehr umfangreiches Bewertungssystem für Nachhaltiges bauen (BNB) entwickelt, was an sich nicht so sensationell ist. Etwas bemerkenswerter ist schon, dass man weiterhin Kriterien für „Neubau Büro- und Verwaltungsgebäude“ entwickelt hat. Denn solche Ansinnen bleiben häufig künstlerisch aktiven Leutchen vorbehalten , die ihre Kreationen vom Büro der Zukunft oder mit Zukunft, egal, Hauptsache Zukunft, hier und da veröffentlichen. Systematische Bücher gibt es selten.
Noch schöner: Das gesamte System ist hierarchisch geordnet nach Hauptkriteriengruppe, Kriteriengruppe und Kriterium. Daher muss jedes Argument, das irgendwo eingetragen wird, „sitzen“. Nicht die falsche Ebene! Wo gehört nach Meinung des Ministeriums visueller Komfort? Andernorts, wo richtige Lichtfachleute urteilen, gehört der in die Abteilung Bla Bla, denn die haben nicht einmal das Hauptziel ihres Tuns, die Sehleistung, definiert. Beim Wort Komfort schlagen sie die Hände über´m Kopf zusammen und sagen, das sei eben Psychologie, und Psychologie ist … Na, ja, Sie wissen schon … Wir brauchen knackige Zahlen!
Nicht so bei den ministeriellen Fachleuten: Der Begriff „Visueller Komfort“ gehört zur Hauptkriteriengruppe „Soziokulturelle und funktionale Qualität“, die Kriteriengruppe lautet „Gesundheit, Behaglichkeit und Nutzerzufriedenheit“. Womit wir den ministeriellen Segen für das Thema Licht und Gesundheit hätten. Der lautet ausgeführt:
„Der visuelle Komfort an Arbeitsplätzen bildet die Grundlage für effizientes und leistungsförderndes Arbeiten. Darüber hinaus bildet eine gute Tageslichtnutzung ein hohes Energieeinsparpotenzial für künstliche Beleuchtung, und Kühlung. Die Akzeptanz des Raumklimas (thermische Behaglichkeit, Luftqualität, Lärm und Beleuchtung), insbesondere die Lichtbedingungen, stehen in starkem Zusammenhang mit der Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Daher muss in allen ständig genutzten Innenräumen eine ausreichende und störungsfreie Beleuchtung gesichert werden.“
Vom Segen kann man zwar glückselig werden, aber Bauen danach? Wieder mal Abteilung Bla Bla? Nein - und das ist das Schöne am Ganzen. Im BNB Abschnitt 3.1.5 wird angegeben:
„Für die Beurteilung des visuellen Komforts wurde eine Bewertungsliste erarbeitet, die unterschiedliche Teilkriterien abbildet und am Ende eine Gesamtnote ergibt.
Im Rahmen der Bewertungsliste werden die folgenden Teilkriterien beurteilt:
1. Tageslichtverfügbarkeit Gesamtgebäude (quantitativ)
2. Tageslichtverfügbarkeit ständige Arbeitsplätze (quantitativ)
3. Sichtverbindung nach außen (quantitativ)
4. Blendfreiheit Tageslicht (qualitativ)
5. Blendfreiheit Kunstlicht (quantitativ)
6. Lichtverteilung (qualitativ)
7. Farbwiedergabe (quantitativ)“
Alle Kriterien werden erläutert und vor allem mit quantitativen Werten belegt. So muss man nicht sinnieren, ob ein Bürohaus der ArbStättV genügt, die da vorschreibt: „Arbeitsstätten sind möglichst ausreichend mit Tageslicht zu beleuchten.“
Tacheles statt Bla Bla!
Warum mich dieses Werk so besonders freut, kann man durch ein Studium des Berichts „Licht und Gesundheit“ aus dem Jahre 1990 entdecken: Dort wird zum einen auf Tageslicht abgehoben, zum anderen aber auf die Individualisierung der Beleuchtung. Zudem wird als ein Grund für die geringe Akzeptanz künstlicher Beleuchtung der Mangel an Farbe angeführt. (Den Bericht bekommt man hier unter healthylight.de, und Erklärungen dazu hier)
Zu Farbe meint das Ministerium:
Da erkennt man, dass die Einhaltung von Beleuchtungsnormen nicht ausreicht, einen Blumentopf zu gewinnen. Denen genügt Ra > 80.
Noch schlimmer kommt es für die, die sich zum obersten Ziel setzen, Leuchten gleichmäßig verteilt an die Decke zu schrauben:
Wer keine individuelle Beleuchtung vorsieht, bekommt Null Punkte. Setzen! Wer nur die Normen einhält, kommt mit einem blauen Auge davon.
Was mich besonders freut, ist das Fehlen des Wortes Lux in dem Papier.
Das gesamte Papier ist unter
erhältlich.
Aus gegebenem Anlass: Hiermit wird versichert, dass alle Gänsefüsschen geistiges Eigentum des Autors sind. Nur der Text dazwischen wurde vom Ministerium verfasst.
Deutsche Beamte mit (profundem) Wissen
24.02.11
Alles, was gesagt werden kann, kann klar gesagt werden
Wittgenstein