Licht und Sicherheit
Licht und Sicherheit
2011
… ohne Waffen. Nicht doch, den Spruch kennt man aus anderen Gebieten. Hier geht es um Standards in der Beleuchtung. Heute habe ich des Rätsels Lösung für eine „Vorschrift“ gefunden, von der niemand weiß, wo sie wohl her kommt. Wo sie drin steht, kann man hingegen häufig erleben. Die „Vorschrift“ lautet: „Die Beleuchtungsstärke an ständig besetzten Arbeitsplätzen muss mindestens 200 lx betragen.“
Vielleicht fällt der Wortlaut etwas anders aus, die 200 stehen aber felsenfest. Wo kommt aber die Zahl her und was bedeutet sie? Wer hat sie begründet?
Die Lösung ist unglaublich: Niemand hat sie ermittelt. Sie wurde beim Übergang von alten physikalischen Einheiten zu den SI-Einheiten von IES (US-amerikanische lichttechnische Gesellschaft) durch Aufrunden gezeugt. Sie hatte in ihrem „Code“ von 1961 eine sog. „amenity value“ von 15 lm/ft2 empfohlen. Nach der neuen Größe (Lux) würde das 161,4 lx ausmachen. Auf- oder Abrunden? Bei Preisverhandlungen im Großen Bazar von Damaskus wäre Abrunden angesagt, bei Mathematikern auch. Aber doch nicht bei Licht. So kam man auf 200 lx. Stand im IES Code 1968. Zwar haben die Amerikaner bis heute die SI-Einheiten nicht in ihr Herz schließen können, aber bei so einer wichtigen Größe … musste unverzüglich gehandelt werden.
200 lx, aber wofür? Amenity bedeutet so viel wie „Annehmlichkeit“. Den Begriff in Bezug auf Innenraumbeleuchtung hat ein gewisser G.P. Cundall, BSc, CEng, FIEE, FIMechE, FIllumES in seinem Artikel „Value for money—interior lighting“ (Lighting Research & Technology, 1972) erläutert. Er sagt aus, amenity sei eine Sache der Wertschätzung. Was bekomme ich für mein Geld? Heute würde man eher sagen, was bekomme ich für die Energie, die ich verbrauche? Jedenfalls nicht Sicherheit. Denn ein gewisser Peter Boyce (s. unten) soll experimentell nachgewiesen haben, dass Menschen im Büro bei plötzlichem Lichtausfall bei etwa 1 lx das Büro sicher verlassen haben. (Wer das nicht glaubt, erntet den Zorn der Sicherheitsexperten, weil die auch der Meinung sind, dass 1 lx reicht).
Man bekommt jedenfalls nicht das, was uns die Normen seit jeher gelernt haben: Mehr = besseres Licht. Denn nach der Schlussfolgerung des Artikels gilt: Die Quantität des Lichts allein wird niemals schlechte Gestaltung aufwiegen, und die beste Wertschätzung wird man erzielen, wenn man den Bedürfnissen der Benutzer entspricht, ohne ungebührliche Energieaufwendungen zu erfordern.
Das hat IES nicht davon abzuhalten, aus 161 lx 200 lx zu machen. Später haben die Europäer sogar ihre amerikanischen Vorbilder übertrumpft und aus 500 wieder 500 gemacht, allerdings aus 500 lx Nenn- 500 lx Mindestbeleuchtungsstärke. Macht rund 25% mehr. Macht aber nix, weil es kaum jemand bemerkt hat. Jedenfalls nicht so plump wie aus 161 lx 200 zu generieren.
Hier passt ein Artikel von Peter Boyce, einem britischen Professor für Lichttechnik, der in den USA gearbeitet hat, unheimlich gut. Damit hat er den Kollegen vom IES ins Gewissen geredet, damit sie aufhören, Märchen zu erzählen. Der Artikel trägt den Titel „Festlegung der Beleuchtungsstärke für Sehleistung - Und andere Märchen“.
(Der Artikel ist angehängt)
Standards schaffen …
06.11.11
Meist gehen Dumme auf Dummenfang. Sie kennen die Gewohnheiten.
Michael Richter,
Zeithistoriker