Licht und Smart Meter
Licht und Smart Meter
2011
„Marketing ist, wenn der Kunde Enten will, und man hat nur Hühner, dass man den Hühnern die Füße breit klopft.“ So und ähnlich lauten die üblichen Verunglimpfungen der Abteilung, die jeder Anbieter betreiben muss. Lichttechnische Firmen machen da keine Ausnahme, und betreiben gemeinsam auch noch ein zentrales Marketing. Eines der erfolgreichsten, übrigens. Die Marketingleute müssen ihr Gehirn ständig martern, um Anwendungen für die Produkte der Firma zu finden, wobei manchmal die ulkigsten Dinge erfunden werden.
Die bizarrste Lichtanwendung ist aber keinem Marketingexperten aus der Lichttechnik eingefallen, sondern dem FNN (Forum Netztechnik/ Netzbetrieb im VDE). Wir können in den nächsten Jahren mit einem regen Absatz von Taschenlampen rechnen, mit denen das deutsche Volk seine - jetzt - intelligenten Stromzähler abliest. Na, ja. Ganz so intelligent sind die Dinger nicht, nur smart. Und heißen deswegen Smart Meter. Wieder mal ein Begriff, der auf die Herzen des einfachen Volkes zielt.
Abgesehen davon, dass das nicht so einfache Volk beim Lesen der Beiträge zu dem aktuellen Thema und auch beim Studium der Bedienungsanleitungen ebenso doof vorkommen wird wie gläubige Christen vor Martin Luther beim Lesen der Bibel, wird es nie verstehen können, warum man eine zertifizierte Taschenlampe benötigt, um den Stromzähler abzulesen. Was die Bibel davor schützte, von einfachen Menschen gelesen zu werden, die Sprache, wird den Smart Meter davor bewahren, vom Volk verstanden zu werden, auch die Sprache, diesmal nicht Latein sondern Denglish. Allein das Wort smart hat es in sich. Auf Deutsch bedeutet es oft gerissen, gewieft, schlau u.ä., und riecht selten gut. Wenn man nach Bedeutungen in Englisch sucht, findet man z.B. das Brennen, der Schmerz oder wehtun als Verb, oder Besserwisser, Klugscheißer oder Neunmalkluger in Verbindung mit alec. Manche positive Bedeutung wie smart money = klug angelegtes Geld hat sich im Zuge der Bankenkrise eher ins Gegenteil umgewandelt. Sogar in der ganz positiven Bedeutung, z.B. in Verbindung mit card, bedeutet smart „besser als dumm, aber weniger als intelligent“, was man gut in der Computerei verstehen kann - smart Terminals, das waren die halbintelligenten Terminals, die vom PC abgelöst wurden, weil doch zu dumm.
Ganz langsam zum Mitschreiben: Unsere Behausungen, Haus oder Wohnung genannt, sollen zu Smart Homes mutieren. Der Strom in diese smarten Gebilde kommt nicht etwa aus der Steckdose einer EVU, sondern aus einem Smart Grid. Damit Smart Home am Smart Grid funktioniert, braucht man ein Smart Meter. Was das ist, werden wir noch lernen, wenn der hackende Sohn des Nachbarn nicht mehr die Computer des Pentagon angreift, sondern bei uns den Strom abstellt, aus Versehen oder auch mal absichtlich.
Damit man sich nicht ganz so doof vorkommt, haben sich die smarten Fachleute vom FNN etwas einfallen lassen, die optische Taste. Ein Glück, dass ihnen nicht die akustische Taste eingefallen ist, sonst würde es ganz schon laut werden in den Kellern, wo die Smart Meter aushängen. Was ist das Schönes, die optische Taste, die neue Errungenschaft? „Die optische Taste ist ein lichtempfindlicher Sensor, den Sie mit einer handelsüblichen Taschenlampe bedienen. Leuchten Sie dafür auf die markierte Stelle entsprechend der Abbildung auf Seite 3*.“ Damit man es nicht zu leicht hat, sagt die Bedienungsanleitung, dass der Stern hinter der 3, ein Wahrzeichen unserer Werbekultur („Nur 3,99* € - kann aber auch 99,99 € bedeuten) folgendes besagt: „* Je nach Hersteller kann sich die optische Taste auch an einer anderen Stelle des Zählers befinden.“ Schlicht ausgedrückt, wenn die Taste nicht dort ist, wie auf Seite 3 abgebildet, ist sie eben wo anders. Wenn sie nicht woanders ist, …“.
Ist das so wichtig? Ja - weil man die besagte Taschenlampe genau vor diese Taste halten muss, und unzählige Male drücken. So z.B. „erstes Anblinken - Displaytest über beide Zeilen“. Und dann? Man muss ein zweites Mal anblinken und kommt zur Eingabe der PIN. Gibt es Leute, die noch nicht wissen, was PIN ist? Nein! Aber bestimmt viele, die nicht wissen, wie man PIN mit einer Taschenlampe eingibt. Das geht so: Um die PIN-Eingabe zu aktivieren, muss man 5 Sekunden auf die optische Taste leuchten. Dann kann die Eingabe der PIN beginnen: „Für die Eingabe der vierstelligen PIN leuchten Sie mit der Taschenlampe zwei Mal auf die optische Taste: In der 2. Displayzeile erscheint „PIN“ und an der 1. Stelle steht die Ziffer 0.“ Erst mal tief Luft holen, vielleicht ein Gläschen Sekt auf den Erfolg trinken? Es geht weiter und zwar endlos: „Leuchten Sie die optische Taste mehrfach kurz an, bis die 1. Ziffer der vorgegebenen PIN an der 1. Stelle angezeigt wird. Die Ziffernfolge ist gleitend und endlos (0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 0, 1, 2, usw.)
Nachdem Sie die gewünschte Ziffer sehen, warten Sie 3 Sekunden.“ Und so weiter, und so weiter, bis alle vier Stellen drin sind, wie ein bekannter Tennisspieler sagen würde. Jetzt steht einem erfolgreichen Ablesen der Daten nichts mehr im Wege. Und zwar ewig, denn die Bedienungsanleitung besagt: „Wenn Sie die PIN-Eingabe an dieser Stelle nicht wieder aktivieren, können Sie jederzeit Ihre persönlichen Stromverbräuche ohne die Eingabe der PIN durch Anleuchten der optischen Taste abrufen.“ Was, wenn man seine Daten doch vor anderen Leuten mit einer Taschenlampe schützen möchte: „Zum erneuten Schutz Ihrer Daten müssen Sie die PIN-Eingabe wieder aktivieren.“ Wieso muss ich die Eingabe wieder aktivieren, wenn ich gar nichts eingeben möchte? Den Sinn dieser Sache kann nur ein Techniker erraten. Offensichtlich ist die optische Taste bistabil. Aktiviert man sie, ist sie aktiviert. Aktiviert man noch einmal, ist sie deaktiviert.
Das erfährt man beim Kundenservice, nehme ich an. Die Mitarbeiter dort sind sehr freundlich und regen sich nicht einmal dann auf, wenn man etwas Dummes tut, wie die PIN zu vergessen. Man muss die angegebene Nummer anrufen und „Gern nennen Ihnen die Mitarbeiter die korrekte PIN für Ihren Zähler.“ steht in der Bedienungsanleitung geschrieben. Man muss diese Bedienungsanleitung unbedingt vor den Kabarettisten schützen. Die erfinden womöglich lustige Dialoge zwischen Hausmeister Krause und der freundlichen Serviceabteilung über die PIN der abwesenden Oma Stein, die die Treppen in den Keller nicht mehr steigen kann.
Die Sache ist benutzerfreundlich wie es nicht mehr geht. Was passiert, wenn man die PIN falsch eingibt? Keine Sorge: „Sie können die Eingabe der PIN beliebig oft wiederholen.“ Was tun, wenn der liebe Nachbar sich die PIN abgeguckt haben könnte? „Die PIN wird einmalig vergeben und kann von Ihnen nicht geändert werden.“ sagt die FAQ aus (Bitte buchstabieren und nicht lautmalerisch aussprechen, man könnte Sie missverstehen.).
Der Verbraucher kann echt souverän darüber entscheiden, was mit seinen Daten wird: „Wenn Sie einmal die PIN eingegeben haben, können Sie selbst entscheiden, ob Sie die PIN-Eingabe wieder aktivieren möchten oder nicht.“
Bleibt noch zu erwähnen, dass der Ableser, in den meisten Fällen mit älteren Wohnungsbesitzern die Ableserin, nicht nur nicht von Gicht oder ähnlichen Leiden geplagt sein darf, um den Arm so hoch zu halten, dass die Taschenlampe die optische Taste trifft. Sie müsste eigentlich drei Arme haben, wenn sie auch noch das Abgelesene notieren will.
Da die Natur das (vermutlich) nicht hergeben wird, sollte man alternativ die FNN-Experten in zwei Kurse schicken, Grundkurs „Datenschutz für Dummies“ und Fortgeschrittenenkurs „Ergonomie für blutige Anfänger“. Den Grundkurs in Ergonomie kann man ihnen ersparen, denn sie haben offensichtlich gelernt, den Benutzer zu modellieren: Die Bedienung der optischen Taste erinnert verdammt genau an den Stromableser, auf den früher in den Vorstädten die „grünen“ Witwen sehnsüchtig warteten. Jetzt ist er wieder da, modellhaft auferstanden.
Sind die Deutschen technikfeindlich? Vielleicht, aber dann nicht freiwillig. Wenn unsere Experten mit dem Rest des Smart Metering so smart umgehen, wird es wohl nix mit dem Smart Home. Dabei geht es um nichts weniger als eine Vorstellung über den intelligenten Umgang mit Energie. Technik ist zu ernst, dass man sie Technikern überlassen dürfte.
Der Strommann ist wieder da
21.01.11
Ein kluger Mensch macht nicht alle Fehler selbst. Er gibt auch anderen eine Chance.
Winston Churchill